
Wahnsinn mit Methode
,Ob Drohnen über Polen auftauchen, russische Jets den estnischen Luftraum streifen, ein Aufklärer eine deutsche Fregatte überfliegt, Unterseekabel in der Ostsee beschädigt werden – ja, selbst wenn Kleindrohnen den Betrieb von Flughäfen in Dänemark und Norwegen stören – in den Schlagzeilen wird sofort klargestellt: Russland steckt dahinter, will die Nato provozieren.
Belege für absichtvolles Handeln? Fehlanzeige. Bei den Kabelschäden ermittelten Behörden gegen chinesische Frachter, bei den Jets sprechen selbst NATO-nahe Stimmen von möglichen Navigationsfehlern. Auch bei Drohnenflügen ist unklar, wer die Steuerung übernommen hat. Trotzdem wird jeder Zwischenfall sofort als Bedrohung durch Russland dargestellt.
Die Reaktionen sind entsprechend: Das Anrufen von NATO-Artikel 4, Minister, die von gezielten Provokationen sprechen, Generalsekretäre, die Abschüsse ankündigen. Diese Rhetorik schafft einen dauerhaften Krisenzustand, in dem jeder Zwischenfall als Beweis gelten kann, ohne dass Beweise nötig sind.
Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte kürzlich: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir leben auch nicht mehr im Frieden.“ Auch Generalleutnant André Bodemann meinte: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir befinden uns schon lange nicht mehr im Frieden.“ Solche Formulierungen spiegeln eine neue Stufe der Eskalation: Eine formale Kriegserklärung wird vermieden – zugleich soll deutlich werden, dass die Lage „anders“ ist. Der Krieg soll omnipräsent sein, ohne dass der juristische Kriegszustand gelten müsste. So entsteht ein Graubereich, in dem der Ausnahmezustand permanente Legitimation erhält.
In diesem Klima der Dauerhysterie lassen sich milliardenschwere Rüstungspakete, die Rückkehr zur Wehrpflicht und die Militarisierung der Bevölkerung als „notwendig“ verkaufen. Auch die Möglichkeit, den Spannungsfall zu erklären, rückt in greifbare Nähe und damit die Möglichkeit, Grundrechte einzuschränken.
Klar ist, wer davon profitiert: die Rüstungsindustrie, die plötzlich volle Auftragsbücher hat, Politiker, die mit Verweis auf die „russische Bedrohung“ Haushaltsmittel umverteilen können und Militärs, die ihren Einfluss im politischen Prozess ausweiten. Für sie alle ist die permanente Alarmstimmung ein willkommenes Geschäft und dient dem eigenen Machterhalt.
Auf der Strecke bleibt die Bevölkerung: Steuerzahler, die die Kosten tragen, Arbeitnehmer, deren soziale Anliegen in den Hintergrund rücken und nicht zuletzt eine Gesellschaft, die sich zunehmend an den Ausnahmezustand gewöhnt. Anstelle von Bildung, Gesundheit und zivile Infrastruktur fließen Ressourcen in Waffen.
Wer deeskalieren wollte, würde prüfen, einordnen, diplomatisch reagieren. Doch hier wird Angst gezielt geschürt – nicht um Sicherheit zu schaffen, sondern um Aufrüstung zu legitimieren.
Wir müssen dringend zu einer Politik der Vernunft und der Diplomatie zurückkehren. Sonst erhöht sich die Kriegsgefahr unaufhaltsam immer weiter.
Dirk Heurich, BSW Hamburg-Nord